Hinweis der Angstambulanz am Zürichsee SM Rapperswil - Schwyz - St. Gallen - Zürich zum nachfolgenden Text:
Hypochonder gelten als extrem schwierige Patienten, weil sie sich in ihrer Überzeugung, ernstlich krank zu sein, einer vernünftigen Argumentation oft hartnäckig verschliessen. Gleichwohl hilft kognitive Therapie bei Hypochondrie ebenso vorzüglich wie bei Angststörungen, Panikattacken, Phobien oder Depressionen.
Der Bericht zeigt sehr eindrucksvoll, wie nahe geistige Gesundheit und Irresein beieinander liegen. Hier hatte das Leben einen intelligenten Studenten an eine Weggabelung geführt, wo er sich zu entscheiden hatte zwischen der jämmerlichen Perspektive einer Existenz in der "Psychiatrie" und einem juristischen "Staatsexamen mit einer Eins". Den ganzen Unterschied haben ein paar Stunden kognitive Verhaltenstherapie gemacht, die sein Denken "in Ordnung" gebracht haben.
Dieser Artikel über Hypochondrie und Hypochonder von dem deutschen Wissenschaftsautor und Tagesspiegel-Redakteur Bas Kast wurde mit dem Titel "Krank in Gedanken" in der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "Der Tagesspiegel" in der Rubrik Gesundheit am 21.04.2004 veröffentlicht.
Der Tagesspiegel, 21.04.2004
Von Bas Kast
Sven Burkes* Krankengeschichte begann in der Badewanne und endete
beim Psychotherapeuten. Das ging so: Burke, 27, Jurastudent, stieg aus
der warmen Wanne, als ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde. Ein akuter
Schwindelanfall. Damals, Ende der 90er Jahre, überschlugen sich in den
Medien die Meldungen über BSE-Fälle. Könnte es nicht sein, schoss dem
jungen Mann durch den Kopf, dass er sich den Rinderwahnsinn eingefangen
hatte?
"Hin und wieder haben wir alle mal Angst, an einer
schlimmen Krankheit zu leiden", sagt , Leiter des
-Instituts für kognitive Psychotherapie in Stuttgart; er hat den
Studenten Burke behandelt.
Der Kopfschmerz, der nur ein Hirntumor
sein kann. Das Blubbern im Bauch – eine Krebsgeschwulst? Das Muttermal,
bestimmt bösartig! In jedem von uns verbirgt sich ein kleiner Hypochonder,
der gelegentlich auftaucht und von selbst wieder verschwindet.
Nicht so bei Sven Burke. Der kleine Hypochonder in ihm blieb und
wuchs. Die Angst vor der Hirnerkrankung dominierte bald seinen gesamten
Lebensinhalt. "Die Schwindelanfälle häuften sich, bis er von regelrechten
Panikattacken überfallen wurde", berichtet der Psychotherapeut
. Jeder Arzt indes, den er besuchte, bescheinigte dem Studenten
eine vorzügliche Gesundheit. "Körperlich war er fit." Nach
wenigen Wochen – Burke wohnt in einer ländlichen Gegend –
hatte der Mann alle Mediziner der Region abgeklappert. Keiner wollte
den offenbar Kerngesunden noch untersuchen.
In seiner Verzweiflung
warf Burke sich in einem Kaufhaus auf den Boden, ließ ruckartige Zuckungen
durch seinen Körper gehen, fingierte einen epileptischen Anfall –
um einen Notarzt und damit eine weitere Untersuchung zu erzwingen. So
landete Burke in der Psychiatrie.
Hypochondrie. Jemand gilt als
hypochondrisch, wenn er immer wieder die Befürchtung hegt, krank zu
sein, obwohl sich dafür vom Arzt keine körperliche Ursache finden lässt.
Das Wort stammt aus dem Griechischen und steht für "unter dem Rippenknorpel":
In der Antike vermutete man, die Krankheitsangst nehme ihren Ursprung
in Organen unterhalb der Rippen, wie zum Beispiel der Milz. Heute weiß
man, dass die Quelle der Hypochondrie nicht dem Körper, sondern dem
Kopf entspringt – auch wenn jeder Hypochonder das vehement bestreiten
würde.
Je nachdem, wie streng man ist, stufen Psychologen ein
halbes bis sieben Prozent der Bevölkerung als hypochondrisch ein. Genauso
viele Männer wie Frauen sind betroffen. Bei den meisten erreicht die
Krankheitsangst zwar nicht derart dramatische Ausmaße wie bei Sven Burke, "sie
beeinträchtigt aber doch den Alltag", sagt Gaby Bleichhardt, Psychologin
an der Universität Mainz. Anhand von drei Kriterien, so die Expertin,
könne jeder feststellen, ob er ein Hypochonder sei:
Erstens ist
da die Angst, unter einer ernsthaften Krankheit zu leiden.
Zweitens:
Diese Angst muss mindestens ein halbes Jahr lang durchgehend vorhanden
sein.
Drittens: Die Versicherung eines Arztes, körperlich gesund
zu sein, beruhigt nicht.
Mit Hilfe dieser Liste lässt sich der
Hypochonder zwar leicht erkennen – aber wie entsteht die Störung?
Steht am Anfang immer ein traumatisches Erlebnis? Die Krankheit des
Vaters oder der Mutter zum Beispiel? Was löst die Hypochondrie aus?
Die Wissenschaft tappt da noch weitgehend im Dunkeln. "Manche
Hypochonder haben während ihrer Kindheit erlebt, dass Kranksein auch
seine positiven Seiten hat", sagt Bleichhardt. Sie wissen: Wer
krank ist, bekommt Aufmerksamkeit, sei es vom Partner, von Verwandten
oder von einem Arzt.
Viele Faktoren kommen hinzu. "Hypochonder
haben die Veranlagung, den eigenen Körper besonders wachsam wahrzunehmen",
sagt . Muskeln, Atmung, Herzschlag – alles wird genauestens
registriert.
Entscheidend aber, so vermuten die Forscher, sind
die verzerrten Gedanken, die für die Hypochondrie typisch sind, wie
auch für viele andere psychische Leiden: Hypochonder nehmen die Signale
ihres Körpers nicht nur äußerst feinfühlig wahr, sie beurteilen sie
auch falsch. Jedem Menschen ist mal schwindlig. Nur der Hypochonder
deutet dieses Zeichen als Hirnerkrankung und lässt sich von seiner Fehlinterpretation
nicht abbringen.
Zumindest nicht so leicht. "Lange dachte
man, bei Hypochondern kann man eh nichts machen, also wurden die Therapiemöglichkeiten
nur wenig erforscht", sagt Bleichhardt. Das hat sich erst in den
letzten Jahren geändert.
Zunehmend haben Psychologen erkannt,
dass man Hypochondern sehr wohl helfen kann, indem man ihnen ihre verzerrten
Gedanken aufzeigt und diese korrigiert – "kognitive Verhaltenstherapie"
nennt sich das im Fachjargon. Einem Patienten, der seine Magenbeschwerden
als Krebsgeschwulst interpretiert, könnte man helfen, indem man ihn
darüber aufklärt, dass es noch Dutzende andere Ursachen für sein Leiden
geben könnte, etwa Stress im Beruf oder Alkoholkonsum.
Im letzten
Monat veröffentlichten zwei Psychiater aus den USA eine Studie, die
die Wirksamkeit der kognitiven Therapie untermauert. Sie behandelten
102 Hypochonder in sechs Sitzungen. Ein halbes Jahr und ein Jahr später
zeigte sich, dass sich die Krankheitsangst bei vielen Patienten deutlich
gemildert hatte.
Ein Viertel der Beteiligten war allerdings vorzeitig
aus dem Therapieprogramm abgesprungen. Eine Behandlung "passt schließlich
nicht zu ihrer Überzeugung", wie Studienleiter Arthur Barsky von
der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge sagt: Der Hypochonder
zeichnet sich ja eben dadurch aus, dass er hartnäckig daran glaubt,
seine Krankheit sei real und nicht Einbildung.
Und Sven Burke? "Er
hat seine Denkfehler behoben und das Staatsexamen mit einer Eins gemacht",
sagt . Für Erfolge wie diese liebe er seinen Beruf. "Ich
habe mich über seine Eins fast genauso gefreut wie er."
* Name von der Redaktion verändert