Hinweis der Angstambulanz am Zürichsee SM Rapperswil - Schwyz - St. Gallen - Zürich zum nachfolgenden Text:
Zu allen Zeiten waren Angst und Panik kostenträchtige Geschöpfe unserer Gedanken, die wirtschaftlich verwertet wurden. War es bis zum 16. Jahrhundert der Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche, der mit der Angst vor dem Jenseits und mit der Panik vor der Hölle die Prediger und Päpste prächtig nährte, so sind es heute Versicherungen und Banken, die aus der Angst vor der Ungewissheit des nächsten Tages und der Panik vor der Hölle der Altersarmut Profit zu ziehen versuchen.
Wenn wir heute lesen, dass Psychotherapeut im Jahr 2001 erklärte, dass "Angst- und Panikstörungen ... zu den am besten behandelbaren psychischen Erkrankungen" gehören und "völlig ohne Medikamente ... regelhaft in weniger als zwölf Stunden durch kognitive Verhaltenstherapie erfolgreich zu beheben" sind, so sei darauf hingewiesen: Auch die kognitive Verhaltenstherapie der Angststörungen ist in den letzten 20 Jahren weiterentwickelt und methodisch verfeinert worden: Heute sind Angsterkrankungen, eine Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie sowie Phobien mit wirksamer Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) in noch kürzerer Zeit heilbar.
Die Redakteurin Dagmar Schwarzmeier von der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" führte mit dem Diplom-Psychologen und Psychotherapeuten von der Angstambulanz in Stuttgart dieses Interview, das unter dem Titel "Wenn der bloße Gedanke Panik auslöst" einen Themenschwerpunkt über "Die Versicherungsgesellschaft" in der Tageszeitung "Märkische Allgemeine Zeitung" ergänzt und in der Ausgabe vom 02.08.2001, S. 33, veröffentlicht wurde.
Märkische Allgemeine Zeitung, 02.08.2001, Seite 33
Von Ralf Schuler
Die Frau hat ihre Kataloge gleich mitgebracht und lässt sich vom
Verkäufer nichts vormachen: Sie kennt die Expertisen der Stiftung Warentest,
die Crash-Versuche des ADAC und jüngste Sicherheitsstudien aus dem Fernsehen.
Beim Kindersitz für den Sprössling gibt es keine Kompromisse, ein bestimmtes
Modell muss es sein, die Sitzschale gegen die Fahrtrichtung natürlich,
eine gesonderte Stahlstütze, die sich gegen den Fahrzeugboden presst,
ein spezieller Spanngurt vorn, verstärkte Seitenflanken für den Kopf
und patentiertes Verankerungssystem am hinteren Gurt... Die Reisemulde
für den Nachwuchs - ein mobiler Hochsicherheitstrakt.
Der Verkäufer
nimmt's gelassen [...]. Die Wahrscheinlichkeit, den Sicherheitsvorsprung
zwischen ihrem Spezial-Kindersitz und deutlich billigeren, ebenfalls
sehr guten Modellen des gehobenen Standards jemals nutzen zu können,
meint der Fachverkäufer, sei geringer als die Wahrscheinlichkeit, vom
Blitz erschlagen zu werden. Und zuckt gleichgültig mit den Schultern.
Je weiter Geschäfte den Bereich des Rationalen verlassen, desto lukrativer
werden sie.
Die viel beschworene Vollkasko-Mentalität der Deutschen
ist längst kein Schlagwort mehr. Sie ist Realität. Von 24,6 Millionen
Kfz-Versicherungen hierzulande sind knapp die Hälfte (11,3 Millionen)
Vollkasko-Policen. Nimmt man die 3,4 Millionen Teilkasko-Kunden hinzu,
so werden es deutlich mehr Menschen, die mehr wollen als den nötigsten
Schutz. Beim Berliner Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV) sieht man das nicht ungern, gerade weil in der Autosparte durch
steigende Unfallzahlen bei den Versicherern kaum Gewinne gemacht werden.
Trotzdem darf GDV-Sprecher Siegfried Brockmann sogar auf Zustimmung
von den Verbraucherschützern rechnen, wenn er diesen Umstand mit Verwunderung
zur Kenntnis nimmt: Eine rationale Versicherungsstrategie würde darauf
abzielen, sich lediglich gegen den "größten annehmbaren Unfall"
(Gau) - das wären in diesem Falle kaum bezahlbare Personenschäden -
mit einer Haftpflichtversicherung abzusichern. Das Aufkommen für kleinere
Kratzer im Lack seien eher Luxus und kosteten zusätzlich Prämie. Doch
die Deutschen sind nicht so. 257,6 Milliarden Mark haben sie im Jahre
2000 für Versicherungen ausgegeben. Tendenz steigend. Und die Bereitschaft,
durch Selbstbeteiligungen die Beiträge niedriger zu halten, sei erst
langsam im Kommen, weiß Brockmann. Der Stuttgarter Psychologe
(siehe Interview) erklärt das damit, dass
viele Menschen "über das natürliche Bedürfnis nach Verringerung
von Unsicherheit hinaus versuchen, in einer Welt, in der es keine absolute
Sicherheit gibt, die Sehnsucht nach 100-prozentiger Sicherheit zu befriedigen".
Als Ursache für dieses Streben sieht
einen partiellen Realitätsverlust. "Wir haben nicht ausreichend
gelernt, Verantwortung für uns zu übernehmen und die Welt um uns herum
realistisch zu betrachten. Zudem wecken Wirtschaft, Politik und Religion
den Wunsch nach absoluter Sicherheit durch Versprechen, die nicht befriedigt
werden können. Die Ausbeutung der aus dem Konflikt zwischen Wunsch und
Wirklichkeit resultierenden Angst war zu allen Zeiten ein profitables
Geschäft."
Von Dagmar Schwarzmeier
Bis zu 30 Prozent der Menschen leiden im Laufe ihres Lebens an einer
Angsterkrankung. , Diplom-Psychologe
und Psychotherapeut, ist Leiter der Angstambulanz des
Instituts für Psychotherapie in Stuttgart. Mit
ihm sprach Dagmar Schwarzmeier.
Was ist Angst?
: Angst ist
ein wertvolles Gefühl, das uns vor Gefahren schützt, indem es eine Flucht-oder-Kampf-Reaktion
auslöst. Es gibt eine biologisch vorgegebene Bereitschaft des Körpers,
auf gewisse Dinge mit Angst zu reagieren. Ebenso kann sich der Schmerz
einer körperlichen oder psychischen Verletzung so tief im Gedächtnis
eingraben, dass allein der Gedanke an eine Wiederholung Angst oder Panik
auslöst. Bis zu 30 Prozent der Menschen leiden im Verlaufe ihres Lebens
wenigstens einmal an einer behandlungsbedürftigen Angsterkrankung.
Welche Symptome sind typisch?
:
Es gibt eine ganze Reihe von Symptomen, die einzeln oder in
Kombination auftreten können. Dazu gehören Herzrasen, Schwindel, Schwitzen,
Zittern, weiche Knie, Atemnot, Erstickungs- oder Würgegefühle. Auch
Kribbeln, Seh- und Wahrnehmungsstörungen oder Magen-Darm-Beschwerden
können auf Angst zurückzuführen sein.
Wovor haben Gesunde
Angst und wovor haben Angstpatienten Angst?
: Angst führt zu einer sinnvollen Handlungssteuerung,
wenn reale Gefahr droht. Es wäre töricht, ohne Not ein Flugzeug zu benutzen,
das nicht verkehrssicher ist. Krankhafte Angst unterscheidet sich aber
von rationaler Risikominimierung. Das normale Maß an Unsicherheit, das
nun mal zum Leben gehört, wird nicht hingenommen, sondern es erzeugt
eine extrem wirklichkeitsfremde Risikowahrnehmung. Wenn ein Erkrankter
öfter Panik erlebt hat, tritt zusätzlich die Angst vor der Angst hinzu.
Wie greift Angst in das Leben eines Menschen ein?
: Menschen meiden Situationen und Objekte, die
sie zu fürchten gelernt haben. Dieses in grauer Vorzeit biologisch sinnvolle
Programm führt in der heute technisch und sozial hoch komplexen Welt
leicht zur Arbeits- und Handlungsunfähigkeit. Der Erkrankte fürchtet
sich immer mehr und die Angstgefühle beanspruchen seine gesamte Aufmerksamkeit.
Oft wird erst bei dieser totalen Selbstblockade eine Angststörung erkannt.
Wie können Angstpatienten behandelt werden?
: Angst- und Panikstörungen gehören zu den am
besten behandelbaren psychischen Erkrankungen. Völlig ohne Medikamente
sind sie heute regelhaft in weniger als zwölf Stunden durch kognitive
Verhaltenstherapie erfolgreich zu beheben. Dabei wird das fehlerhafte
Denken, das zu den Angst-Reaktionen führt, aufgedeckt und verändert.
Das klingt sehr optimistisch.
:
Ja, das ist nach dem Stand der Wissenschaft möglich. Allerdings
ist die Kluft zur Versorgungsrealität extrem. Angstpatienten irren nach
Beginn ihrer Erkrankung durchschnittlich acht bis zehn Jahre durch das
Gesundheitssystem, bis sie endlich einen Therapeuten finden, der ihnen
helfen kann.